Raymond Thelen
(Bezugnehmend auf den Text von Dr. Marion Opitz über meine Arbeiten)
Meine Arbeiten sind von Beginn an geprägt von konstruktivistischen und informellen Elementen und Ideen, ohne dabei als Werke der jeweiligen Kunstrichtung zu gelten. Vielmehr liegt immer eine Mischung diverser Darstellungsmethoden vor. Geometrische Figuren und informelle Ornamentik stehen gleichberechtigt nebeneinander und durchlaufen verschiedene Metamorphosen (meist in Auflösung begriffen). Hier Gegensätze darzustellen war nie die Intention. Unbewusst müssen diese Darstellungen für mich schon immer mehr Gemeinsamkeiten gehabt haben als man bisher in der Kunstgeschichte vertrat.
In den 40ger Jahren des letzten Jahrhunderts präsentierten Künstler in Paris das Informell als Antipode zum Konstruktivismus. Beide Kunstrichtungen standen sich als Antagonisten unversöhnlich gegenüber. Beide Richtungen hätten nichts miteinander gemein. Sie irrten sich.
Nach mehr als 40 Jahren meines Arbeitens ist mir nun bewusst geworden, dass der Konstruktivismus und das Informell Grenzwerte derselben Entwicklung sind. Als Verbindung kann hier (evtl. unter Anderem) die Kaligraphie gesehen werden.
Gegen Ende des Jahres 2014 wurde in den archivierten Artefakten eines holländischen Museums eine 500.000 Jahre alte Muschel wieder entdeckt, die mit geometrischen Gravuren versehen war. Welche Funktion diese Muschel hatte wird wohl ewig Spekulation bleiben. Fest steht, dass bereits Homo Erectus sich geometrischer Figuren bewusst war und diese darstellen konnte.
Betrachtet man die Entwicklung der Schrift sind die Anfänge derselben geprägt von konstruktiven Elementen. Die 6600 vor Chr. entstandene Jiahu – Schrift und die Keilschrift der Sumerer bestehen ausschließlich aus geometrischen Figuren. Stilisierte Abbildungen und geometrische Figuren waren Hauptbestandteile der ägyptischen Hieroglyphen. Je dezidierter Sprache und Schrift sich entwickelten, und je relevanter die schriftliche Kommunikation wurde desto mehr (modifizierte) geometrische Zeichen oder Abbilder wurden in die Schrift aufgenommen, bis zu dem Punkt als auch informelle Zeichen die Aufgabe von Synonymen übernahmen. Die Schriften entwickelten sich zu Mischformen. Das japanische Hiragana besteht nur noch aus informellen Zeichen (Ähnlich auch das Arabische und Persische etc.).
Heute sind die meisten gebräuchlichen Schriften Mischformen. Lateinisch, Griechisch, Kyrillisch, Chinesisch, etc.
Nun ist die parallele Verwendung „konstruktivistischer“ und „informeller“ Elemente noch kein Beweis dafür, dass beides derselben Entwicklung entstammt. Dabei übersieht man allerdings, dass die informellen Elemente meist durch Modifikation von geometrischen und stilisierten Abbildungen entstanden sind. Das japanische 大 (jin) für Mensch ist letztendlich aus einem Strichmännchen entstanden. Das „C“ aus einem unvollständigen Kreis, das „U“ aus einem Rechteck, usw. Es lassen sich zahllose Beispiele anführen, die zeigen, dass sich das „Informell“ aus dem „Konstruktiven“ stilisierte.
Daran kann man erkennen, dass sich die grundsätzliche Idee des Informellen aus dem Konstruktiven entwickelte. Das ist allerdings keine Einbahnstraße. Denn man kann diesen Weg auch umkehren. Analog zu einem Raster (urspr. Pointilismus) kann eine Ansammlung informeller „Ornamentik“ eine geometrische Figur bilden. Viele Spielarten sind hier denkbar.
In ihrer Reinform scheinen beide tatsächlich nichts miteinander gemein zu haben. Und doch zeigt die beispielhafte Entwicklung der Schrift, dass beide in der Auflösung und Synthese sich zum anderen entwickeln können, ja sich sogar gegenseitig bedingen.
Diese Vorstellung ist Grundlage meiner Arbeiten in 2014.